Absoluter Wahnsinn, was für Schmankerl dem ambitionierten Bergsportler rund um die urige Steinseehütte angeboten werden. Als wichtiger Stützpunkt in den wilden Lechtalern ermöglicht sie nicht nur zur berüchtigten Parzinnspitze einen deutlich kürzeren Zustieg. Auch andere beliebte Klettergipfel wie die Dremel- oder Steinkarspitze sind in nur wenigen Stunden von dort erreichbar.
Für uns die perfekte Möglichkeit für ein Wochenende in die aufreibende Welt des kleinen Alpinismus einzutauchen.
Und das ist mein Bericht.
Die Eckdaten unserer zweitägigen Rundtour in den Lechtalern in aller Kürze:
Gipfel: Dremelspitze (2733 m), Parzinnspitze (2613 m)
Übergänge: Kogelseescharte (2468 m), Westl. Dremelscharte (2460 m), Parzinnscharte (2504 m)
Ausgangsort: Gramais, Parkplatz wenige Meter unterhalb Gasthaus Alpenrose (1325 m)
Länge & Höhenmeter: 20,6 km, ca. 2280 HM im Auf- und Abstieg, ca. 11-13 Stunden
Anspruch: T6, II (III-), konditionell/technisch extrem anspruchsvoll, teilweise weglos
Einkehr & Übernachtung: Steinseehütte (2060 m), Hanauer Hütte (1922 m)
(Bitte beachten bei der Tourenplanung: Die Höhenmeterangaben bei Komoot sind nicht korrekt.)
Alles fing ein bisschen so an wie bei unserer durchaus sportlichen Gipfelgaudi im Allgäu letztes Jahr. Chris und ich hatten mal wieder richtig Lust auf eine etwas ambitioniertere Tour, und nach wie vor war die Coronalage alles andere als klar. So suchten wir uns Anfang des Jahres ein Wochenende raus und schauten einfach mal nach interessanten Unterkünften für ein Hüttenwochenende.
Und so war ich natürlich begeistert, als Chris schon relativ bald zwei Lagerplätze in der Steinseehütte ergattern konnte und sich sogleich an die Tourenplanung machte. Der konditionelle Anspruch passte. Beim technischen Anspruch war ich mir da allerdings nicht so sicher, da ich bisher bis auf wenige Ausnahmen kaum Klettertouren im II. Schwierigkeitsgrad gemacht hatte.
Dementsprechend aufgeregt war ich dann auch, als der Tag dann endlich gekommen ist…
1. Tag: Von Gramais zur Steinseehütte, Abstecher Dremelspitze
Bereits die Autofahrt ins kleine Bergdörfchen Gramais ist die reinste Freude für mich. Die Gegend ist mir vollkommen neu. Die Schroffheit der sich nach und nach vor mir aufbauenden Gipfel ist auffallend und charakteristisch für die Lechtaler Alpen. Darin idyllisch eingebettet liegt Gramais auf einer Seehöhe von etwa 1325 m.
Wir sind früh dran, und ein Parkplatz ist schnell gefunden. Die Luft ist wunderbar klar, der Himmel blau. Mir kribbelt es schon in den Beinen.
Sogleich machen wir uns durch das östliche tief einschneidende Tal auf den Weg. Zunächst einige Minuten auf der Straße bis rechterhand bald der wunderbar gangbare Platzbachsteig abzweigt. Diesem folgen wir im sportlichen Tempo bis sich auf einer Höhe von knapp 2200 m das Gelände endlich zurücklehnt und die Sicht auf die umliegenden Gipfel freigibt. Der Kogelsee, und damit unser erstes Etappenziel, ist erreicht.
Der See ist dermaßen schön, dass wir entscheiden, hier noch ein wenig länger zu verweilen und erst einmal ausgiebig zu frühstücken. An sich wäre der Kogelsee allein schon ein lohnendes Ziel für eine normale Bergwanderung. Aber ich freue mich tierisch, dass unsere Tour ja jetzt eigentlich erst so richtig losgeht.
Nach einem kleinen Stück am See entlang, führt uns der weitere Wegverlauf steil bergauf zur Kogelseescharte, unserem ersten Übergang. Das hart gefrorene, aber gespurte Schneefeld bereitet uns keinerlei Schwierigkeiten mehr.
Oben angekommen erblicken wir das erste Mal die markante und von mehreren Schluchten zerrissene Dremelspitze. Der Weg zur westlichen Dremelscharte (rechts) sieht bereits von hier trotz für Juli überdurchschnittlicher Schneelage gut machbar aus und sollte uns daher bis zum Einstieg keine größeren Probleme bereiten. Vom konditionellen Anspruch jetzt mal ganz abgesehen.
Der nun folgende südseitige Abstieg ist einfach. In den letzten Schneeresten geht das Abfahren wie geschmiert.
Ein Blick zurück lässt mich kurz innehalten und ich überlege, durch welches Schlupfloch wir ohne großartige Kraxelei eigentlich aus dieser gewaltigen Wand gekommen sind.
Die kurze weglose Querung in das gegenüberliegen Dremelkar ist schnell geschafft. Wobei mir schleierhaft ist warum es dort keinen ordentlichen Weg gibt. Den Umweg und Verlust mehrerer hundert Höhenmeter zur Hanauer Hütte nehmen wir ungern in Kauf.
Vor uns liegt der letzte große Anstieg.
Das Schneegestapfe in der prallen Mittagshitze durch das steile Kar hinauf zum Einstieg ist alles andere als eine Wohltat und zieht sich ohne Ende. Die Beine werden schwer, die Schritte kürzer. Die Kondition lässt nach.
Bis ganz hinauf zur Dremelscharte müssen jedoch noch nicht. Vorher biegen wir links ab und gelangen in ein letztes steiles Schuttfeld, bevor die finale Felskletterei beginnt. Ich bin mächtig aufgeregt, die Dremelspitze türmt sich gewaltig vor uns auf.
Eine der zwei Schlüsselstellen, III-, ein kaminartiger Aufschwung über einen Klemmblock mit fürchterlich wenig Griffen, erwartet uns sogleich am Anfang. Ohne zu lange nachzudenken, wie ich da wohl jemals wieder herunterkomme, hieve ich mich hoch…
Im Anschluss deutlich einfacher, meistens I bis II- (Stellen), folgen wir den guten Markierungen durch die Felsentürme. Die Orientierung fällt nicht schwer. Und der Tiefblick hinunter zum Steinsee ist sagenhaft.
In höchster Konzentration, die Müdigkeit ist wie verflogen. Die Kraxelei im festen, griffigen Fels macht mir so Spaß, dass ich alles drumherum vergesse.
Grenzenlose Euphorie bis zur zweiten Schlüsselstelle, II+. In der Literatur (Felstouren im II. und III. Grad von Thomas Otto) wohlwollend direkt in der Einleitung beschrieben als “Eines der Highlights: die Kletterei im oberen Teil des Anstiegs in festem Fels am linken Rand einer Schlucht nach oben”.
Ich gebe es zu, hier, knapp 100 m unterhalb des Gipfels, passe ich. Chris hat die grifflose, stufenartige und extrem ausgesetzte Verschneidung tatsächlich geschafft, auch wenn er runterwärts dann ganz schön geschluckt hat. Für mich ist hier jedoch Schluss, und Chris ist solidarisch genug und dreht mit mir zusammen um. Vielleicht das nächste Mal.
Widererwarten ist es hinab eindeutig nicht so wild, wie ich es mir vorgestellt hatte. Auch nicht die anfängliche Schlüsselstelle.
Ohne weitere Pause steigen wir ab zum Steinsee. Es ist mittlerweile ziemlich zugezogen. Für ein Bad ist es mir zu kalt, ich freue mich auf die wohlverdiente Dusche.
Zur Hütte ist es ja nur noch ein Katzensprung…
Den restlichen Abend verbringen wir mit gutem Essen, reichlich Bier, einigen Partien meisterhaften Schachs und einem jubelnden Publikum.
Ok, das letzte war gelogen.
2. Tag: Zurück nach Gramais, Abstecher Parzinnspitze
Wie es sich gehört sind wir die ersten beim Frühstück. Wir haben heute einen straffen Plan. Nach der gestrigen Euphorie wollen wir uns die Genusskletterei auf die Parzinnspitze heute sicherlich nicht nehmen lassen.
Das Wetter ist aber (noch) bescheiden. Am Vormittag soll es angeblich kurz bisschen besser werden, ab Mittag soll es regnen. Mal sehen, was uns heute erwartet. Ich bin gespannt.
Die ersten 400 Höhenmeter zum Startpunkt der beiden Steinkar-Klettersteige liegen schnell hinter uns. Wir entscheiden uns für den direkten, aber deutlich leichteren (maximal B) Klettersteig, ein Klettersteigset haben wir ja sowieso nicht dabei.
Weiterhin im hervorragenden Fels und deutlich einfacher als gestern führt uns das Stahlseil hinauf zur Parzinnscharte, die wir um kurz vor 8 Uhr erreichen. Noch hängt Nebel über dem Steinseeplateau, die Wolkendecke lichtet sich jedoch bereits vereinzelt.
Bis zum Einstieg in den wilden Gipfelaufbau der Parzinnspitze ist es nur noch ein kurzer, einfacher Fußmarsch. Als wenn mir der Himmel ein Zeichen geben will, ist es genau über uns strahlend blau.
Wir warten nicht lange, und setzen unsere Helme auf und unsere Rucksäcke ab. Die Kamera nehme ich nicht mit. Mir geht es bei dieser Tour hauptsächlich um das Bergerlebnis. Und wenn ich es hier nicht bekomme, wo dann.
Befreit von sämtlichem Ballast suchen wir sogleich den Einstieg in den zerklüfteten Südgrat. Markierungen fehlen hier im Gegensatz zur Dremelspitze weitgehend. Spärliche Steinmandln weisen die grobe Richtung. Lediglich 100 Höhenmeter trennen uns noch vom Gipfelkreuz.
Durch zahlreiche Rinnen und an steilen, brüchigen Flanken, oftmals II, klettern wir empor.
Und die Euphorie kehrt zurück.
Immer wieder mit grandiosen Tiefblicken hinunter zum Gufelsee kämpfen wir uns in Fels und Schutt bergauf. Und als die Sonne es kurzzeitig durch die Wolkendecke schafft, kann ich einfach nicht anders und muss doch hin und wieder ein Foto machen.
Ein letzter heikler Gipfelblock, II, versperrt mir den Weg zum Kreuz. Ich nehme mich zusammen und tätschele kurze Zeit später das eiserne Kreuz der Parzinnspitze.
Ich merke, dass mir eindeutig die Routine fehlt. Nach wie vor bin ich mächtig aufgeregt und möchte mich so schnell es geht wieder vom Acker machen. Dementsprechend gibt es auch nur ein einziges halbwegs brauchbares Foto von ganz oben.
Der Abstieg zurück zu den Rucksäcken ist schnell geschafft.
Eine ganze Stunde haben wir hier nun im zerklüfteten Fels verbracht.
Erleichtert und glücklich fliegen wir dem strahlend blauen Gufelsee entgegen, den wir ja bereits von oben ausgiebig bestaunen durften.
Der weitere Abstieg zum Branntweinboden ist vergleichsweise einfach. Steil ja, aber technisch einfach.
Um halb 11 kommt doch tatsächlich die Sonne nochmal für ein paar Minuten raus und wir suchen uns inmitten des grandiosen Bergpanoramas eine schöne Stelle für eine vorgezogene Mittagspause.
Der weitere Wegverlauf ist noch ein letztes Mal gespickt mit Seilen, immer dem Otterbach folgend.
Um Punkt 12 Uhr sind wir zurück am Auto. Als wir drin sitzen fällt der erste dicke Tropfen auf die Windschutzscheibe. Genau wie vorhergesagt.
Wenn es nur immer so wäre!
Hat dir mein persönlicher Erfahrungsbericht gefallen?
Dann schau’ dir gerne auch noch die Bergtour auf den Großen Lasörling oder die Watzmann-Überschreitung an!