Die Heidelberger Hütte ist aufgrund ihrer exzellenten Lage inmitten des Silvretta Gebirgsmassivs seit vielen, vielen Jahren eine gesetzte Größe, nicht nur was das Skitouren gehen betrifft. Noch größer ist der Hüttenandrang im Hochwinter, wenn die anderen hochgelegenen Hütten im Tiroler Umland noch geschlossen haben. Dann heißt es dran bleiben, denn ein Aufenthalt lohnt sich.
Umso erstaunlicher war es, dass Tobi, Helge, Carola und ich noch wenige Wochen vorher ein Mehrbettzimmer für uns abgreifen konnten. Zugegebenermaßen wussten wir aber schon, dass die Schneemengen diese Saison bis zum jetzigen Zeitpunkt alles andere als üppig ausgefallen waren. Und das wussten natürlich nicht nur wir. Aber wenn man es nicht probiert, woher weiß man’s dann?
Tag 1: Zustieg Heidelberger Hütte (2.264 m)
Ich muss gestehen, die letzten Tage vor der Abfahrt bin ich einigermaßen aufgeregt. Der Wetterbericht verheißt nichts gutes. Es soll kalt werden. Richtig kalt. Auf 3000 m soll die Temperatur bis auf -20°C abfallen, mit anhaltenden starken Sturmböen und gelegentlichem Schneetreiben. Vier Tage lang. Na Prost Mahlzeit.
So ist es nicht überraschend, als wir am Donnerstag Morgen, den 20. Januar, von leichtem Schneefall in Ischgl begrüßt werden. Hüttengäste können für einen Zehner pro Nacht und Auto auf einem vollkommen ausreichenden Parkplatz direkt beim Ortseingang ihr Auto abstellen. So einfach ist das.
Nach einigen Gehminuten durch den schmucken Ort erreichen wir die Skipiste, auf der wir gemütlich unserem heutigen Ziel entgegenschlendern. Es wird ein langer Hatscher. Insgesamt 14 km trennen uns noch von der Hütte. Die 880 Höhenmeter im Aufstieg sind bei dieser elenden Distanz nicht der Rede wert.
Das erste Drittel der Strecke verläuft entlang der Skipiste und ist wenig aufregend. Landschaftlich schöner wird es erst danach, stets entlang des Baches durch das Fimbatal. Irgendwann passieren wir die österreichisch-schweizerische Grenze und ich muss kurz grinsen, als ich daran denke, dass eine Coronakontrolle hier wohl nicht stattfinden wird.
Nach ca. zwei Dritteln der Wegstrecke verlassen wir endgültig das Skigebiet und merken, dass wir langsam aber sicher in die nun dichter werdende Wolkendecke eintauchen.
Und dabei soll es bleiben.
Viel sehen werden wir heute nicht mehr.
Einen schönen Whiteout schon am ersten Tag, das kann ja nur besser werden. Der Wind pfeift uns mächtig um die Nase, es ist saukalt und fürchterlich unangenehm. Unsere GPS-Tracks helfen uns auf der Spur zu bleiben, andere Tourengeher sehen wir heute nicht. Wie auch.
Für “nur” 880 Höhenmeter erreichen wir die Hütte ziemlich abgekämpft und müde. Und auch wenn es ein paar Stunden später noch einen kurzen Lichtblick gab, verlassen wir die Hütte nicht mehr. Die gesellige Spielerunde und der exzellente Kuchen haben zur allgemeinen Unmotiviertheit, noch eine sportliche Session einzulegen, sicherlich einen nicht ganz zu vernachlässigenden Teil beigetragen.
Tag 2: Breite Krone (3.079 m)
Unser zweiter Tag startet mit überraschend blauem Himmel. In den gesamten Nordalpen hängen dichte Wolken, aber über uns hat sich ein kleines Zwischenhoch eingenistet. Ein Blick aus dem Fenster, und man könnte glatt meinen, es wäre halbwegs angenehm draußen. Als wir jedoch den ersten Schritt nach draußen wagen, merken wir recht schnell, warum wir von allem nur das wärmste in unsere Rucksäcke gestopft haben.
Heute steht der erste Dreitausender an. Die Breite Krone, alias Curuna Lada. Ein vergleichsweise einfacher Skitourengipfel, der für uns bei den eisigen Bedingungen eine gute Eingewöhnungstour darstellt.
Von der Hütte weg erwarten uns gute Schneebedingungen. Über die Nacht sind trotz des starken Windes einige Zentimeter Neuschnee zusammengekommen. So ist es nicht sonderlich verwunderlich, dass wir von Anfang an unsere Route selbst spuren. Das ist schon cool und für so eine bekannte Tour eher eine Seltenheit. Aber uns solls natürlich recht sein.
Gerade zu Anfang schlängelt sich die Route sehr flach durch kupiertes Gelände. Schon jetzt kucken wir uns nach einer halbwegs fahrbaren Spur um, jedoch wird schnell klar, dass es ohne ein erneutes Ab- und Auffellen vermutlich nichts werden wird.
Schon bald wird es aber steiler.
Die ersten unverspurten Pulverhänge tauchen überall um uns auf und freuen uns schon jetzt wie kleine Kinder auf die baldige Abfahrt. Das ist einfach so viel geiler als die ollen Voralpen rund um Spitzingsee & Co.
Unseren ursprünglichen Plan, zusätzlich zur Breiten Krone auch noch den Piz Tasna (3.179 m) mitzunehmen, verwerfen wir angesichts der eisigen Temperaturen und der dürftigen Schneelage schon bald. Auch wenn es niemand so richtig zugeben will. Erstmal die Krone und dann mal sehen.
Die Abzweigung wäre jedenfalls hier: Auf der östlichen Seite an der Krone vorbei und dann noch ein ordentliches Stück gen Süden, bis der felsige Gipfelaufbau des Tasna erscheint.
Nun aber weiter im Text. Das schönste Stück der Tour wartet auf uns: Die Hänge hinauf zum Kronenjoch.
Und so erreichen wir leider viel zu schnell das Joch und der Wind gibt uns die volle Breitseite. Mit Windchill ist es so kalt wie nie zuvor in meinem Leben. Ich ziehe alles an, was mein Rucksack hergibt. Trotz Daunenhandschuhe verliere ich langsam das Gefühl in meinen Fingern. Atmen wird zu meiner Hauptaufgabe. Es ist einfach viel zu kalt.
Vom Skidepot auf dem Joch geht es zu Fuß weiter.
Alles ist komplett abgeblasen. Bis zum Gipfel sind es nur noch wenige Höhenmeter. Der Weg ist einfach fühlt sich aber an wie eine Ewigkeit.
Am Gipfel selbst bleibt leider kaum Zeit. Gemütlich ist dann doch was anderes. Und die Pause verschieben wir erstmal. Auch Fotos machen ist jetzt gerade nicht unbedingt die beste Idee. Also, nix wie runter.
Ohne viele Worte machen wir uns abfahrbereit. Und das erste Stück ist schon einfach traumhaft. Wie sehr habe ich es vermisst. Die ersten richtigen Schwünge in der Saison sind schon immer was besonderes. Auch wenn sie immer viel zu schnell vergehen.
Ein paar wenige Schwünge später suchen wir uns aber erstmal ein windgeschütztes Plätzchen in der Sonne und snacken, was der Rucksack so hergibt. Wieder ein bisschen Kraft tanken für die anstehende Abfahrt.
Und so stürzen wir uns in die endlosen Pulverhänge. Mehr braucht es für ein gutes Leben nicht.
Den Piz Tasna lassen wir heute natürlich aus. Wer hätte es gedacht.
Hier jedenfalls noch zwei kleine Ausschnitte von der Abfahrt direkt bis runter zur Heidelberger Hütte.
Und, wer hat’s gesehen?
Da staubt’s schon ganz schön am Ende des ersten Videos. Wenn da mal nicht einer ein wenig Schnee gekostet hat…
Tag 3: Powdern was das Zeug hält
Dass es wettertechnisch nicht dabei bleiben würde, war ja klar. Heute steht Wolkensuppe auf dem Speiseplan. Verfeinert mit ein wenig Schneefall.
Ein guter Tag um mal ein kleines Orientierungs- und Koordinationstraining mit Karte und GPS zu absolvieren. Wer’s noch nicht selbst erlebt hat, weiß nicht, wie heftig es sein kann, sich im kompletten Whiteout orientieren zu müssen. So erkunden wir ein paar Stunden die schönsten Pulverhänge rund um die Hütte, denn Schnee ist heute nochmal reichlich runtergekommen.
So kämpfen wir uns einmal hier hoch, und einmal dort. Mit immer wieder netten Abfahrten. Ich weiß nicht mehr, wie oft wir am Ende tatsächlich ab- und wieder aufgefellt haben. Letztendlich bekommt man auch so den sportlichen Teil des Tages rum.
Beim Rest mache ich mir bei einer so guten Truppe sowieso keine Sorgen.
Tag 4: Larainfernerspitze (3.009 m) und Abfahrt nach Ischgl
Unser letzter Tag steht an. Noch ist die Sonne zwar nicht aufgegangen, aber es soll ein grandioser Tag werden. Wetter- als auch schneetechnisch. Die Lawinengefahr hält sich mit einem 2er in Grenzen.
Für heute haben wir uns die mittelschwere Tour auf die Larainfernerspitze vorgenommen. Die Tour, die ich, wenn ich schon mal mehrere Nächte auf der Heidelberger Hütte verbringe, unbedingt machen wollte. Wir haben sie uns für den besten Tag aufgehoben.
Ein besonderes Schmankerl der Tour: Die mäßig steilen Ostflanken bis maximal 35°, die sowohl guten Schnee als auch eine zügige Abfahrt ohne viel Schieben bzw. erneutem Auffellen versprechen. Und mit ihren lediglich knapp 800 Höhenmetern stellt einen die Tour bei Übernachtung auf der Hütte konditionell nicht wirklich vor besondere Herausforderungen.
So starten wir noch vor Sonnenaufgang.
Die Fluchthörner weisen uns den Weg. Als sie von den ersten Sonnenstrahlen magisch rot beleuchtet werden können wir nicht anders, als eine kurze Fotopause einzulegen. Die kalte Luft füllt unsere Lungen, noch sind wir nicht warm geworden.
Durch unberührte endlose Weiten schreiten wir voran. Es ist wie im Traum.
Ich kann das Erlebte kaum in Worte fassen.
In perfekter Steigung spuren wir bergauf durch den Pulverschnee.
Und wir kommen schnell voran. Unser Ziel war es in zwei Stunden oben zu sein.
Aber je höher wir kommen, desto mehr sind die Einflüsse der starken Winde aus den letzten Wochen zu spüren. Tiefschneepassagen wechseln sich nun häufiger mit abgeblasenen Buckeln ab.
Weniger hundert Höhenmeter unterhalb des Gipfels beginnt es steiler, luftiger und damit anspruchsvoller zu werden. Aber die Bedingungen sind gut, der Schnee griffig. Das Skidepot ist bald erreicht.
Die letzten zehn Höhenmeter steigen wir durch eingeschneites Blockwerk zu Fuß auf. Der Gipfelgrat ist easy. Und die Pause am Gipfel wohlverdient.
Wir sind die ersten, die heute abfahren. Wir stürzen uns in den Pulver und jauchzen vor Freude. Beim Abfahren passieren wir zahlreiche weitere Tourengeher, die uns mit neidischen Blicken ansehen.
Und das sind doch immer die Blicke, woran man merkt, dass man alles richtig gemacht hat!
Zu schnell sind wir unten. Zu schnell neigt sich das verlängerte Wochenende bereits seinem Ende zu.
Von der Hütte weg nach Ischgl lassen wir einfach nur laufen. Wobei, ohne Schieben ging’s dann letztendlich doch nicht ganz. Aber bei einer Distanz von 14 km liegt das ja eigentlich auf der Hand…