Kein anderer Ort, an dem ich bisher je gewesen bin, hat mich so sehr fasziniert wie der urtümliche Sjunkhatten Nationalpark im hohen Norden Norwegens.
Die raue, von Gletschern geprägte und zwischen stattlichen Fjorden gelegene Landschaft in Verbindung mit dem vergleichsweise einfachen Gelände mit zahlreichen Möglichkeiten fernab ausgetretener Pfade machen diese Gegend zum absoluten Traum für leidenschaftliche Trekker.
Ich war 2017 bereits für einige Zeit dort. Aber aufgrund von mangelnder Erfahrung, schwächelndem Mindset, teilweise unpassender Ausrüstung und insgesamt sehr durchwachsenem Wetter konnte ich nicht wirklich ins Innere des Nationalparks vorstoßen.
Das sollte sich dieses Mal ändern!
So entschied ich mich, 8 Jahre später, dazu, eine Urlaubswoche im Herbst zu investieren und fernab der lieben Familie endlich mal wieder die große Freiheit in Form eines Trekkingabenteuers zu spüren.
Natürlich war auch dieser Trip wieder von einigen Up-and-downs geprägt. Aber Norwegen wäre nicht Norwegen, wenn alles einfach und berechenbar wäre. Alles weitere liest du in diesem Artikel.
Hier direkt noch meine gewählte Route durch den Sjunkhatten Nationalpark auf Komoot:
Tag 1: Nordvik – Kvalhornet (1.056 HM / 9,02 km)
Der erste ernsthafte Impuls dieses Abenteuer ein weiteres Mal anzugehen war sicherlich die Tatsache, dass ich, natürlich nicht ganz zufällig, eine traumhafte Flugverbindung von München nach Bodø gefunden hatte. Direkt und für wenig Geld. Und in den Sommerferien. Da musste ich einfach zuschlagen. Und wenn es mit dem Wetter nicht gepasst hätte, wäre ich einfach auf die Lofoten geschippert. Die sind auch immer eine Reise wert (siehe z.B. hier), aber halt ziemlich überlaufen.
Eine Woche vor dem Flug stellte sich dann heraus, dass es der Wettergott dieses Mal anscheinend gut mit mir meinen sollte. Eine stabile Prognose ohne Regen über längere Zeit. Wenn auch zeitweise mit viel Wind. Aber Windstille kann ich nun beim besten Willen nicht von Nordnorwegen erwarten.
So packte ich meinen Rucksack entsprechend der Packliste für ein einwöchiges Trekkingabenteuer und stieg voller freudiger Anspannung in den Flieger.
Ich lande um 13.30 Uhr. Nach kurzer Wartezeit erspähe ich meinen Rucksack auf dem Gepäckband. Dieses Mal wird alles gut werden. Zügig mache ich mich auf den Weg zum Bus, der mich zum nächsten Kaufhaus bringt. Ich erstehe noch ein stattliches Mittagessen sowie die Gaskartusche und nehme den Bus zu meinem geplanten Startpunkt in der Bucht von Nordvik.
Es folgt ein etwa 2 km langer Hatscher zum Trailhead auf das Kvalhornet und damit hinein in den Sjunkhatten Nationalpark.
Das Abenteuer beginnt.
Obwohl es schon 16 Uhr ist, ist es mit knapp 20°C für norwegische Verhältnisse noch sommerlich warm. Ich ziehe meine Shorts an und den Pulli aus und stürze mich ins schwitzige Vergnügen. Über 20 kg Rucksackgewicht wollen auch erstmal den Berg hochgetragen werden. Aber dafür habe ich trainiert. Und ich bin einfach nur dankbar, dass ich so etwas wieder mal durchziehen kann.
Der Weg durch die anfangs noch üppige Vegetation ist gut erkennbar bzw. sogar markiert. Auf einer Höhe von etwa 400 verlasse ich den steilen Steig und zweige in die weglose Einöde ab. Weitere teils querende 200 Höhenmeter zu den Småvatnan unterhalb des Kvalhornets sind schnell geschafft, auch wenn es sich zunächst sehr komisch anfühlt, einfach so durch die Prärie zu schlendern.
Bei den Seen baue ich in der Abendsonne mein Zelt auf. Es ist noch vollkommen windstill und einfach nur schön.
Nach einer angemessenen Stärkung gehe ich im unschwierigen Gelände noch zügig auf den Gipfel, um mir von dort den Sonnenuntergang anzusehen.
Ich habe es fantastisch in Erinnerung, hier oben zu stehen. Obwohl es damals unerbittlich windig und kalt war. Aber so ist es ja oft. An die Momente, in denen man zwar gelitten aber zugleich Außergewöhnliches erlebt hat, denkt man am liebsten zurück.
Dieses Mal fühlt es sich komplett surreal an, gar nicht wie Norwegen. Ich bin oben ohne, so warm ist es. Und ein Beweisfoto in Form eines Gipfelselfies muss noch sein, bevor die Sonne ganz verschwindet. Unfassbar eigentlich, wenn man bedenkt, dass ich heute morgen noch bis 6.30 Uhr gemütlich in meinem Bettchen geschlummert habe.
Einige Zeit verweile ich noch am Gipfel und schaue mir, soweit einsehbar, die nächsten Abschnitte meiner gewählten Route durch den Sjunkhatten an.
Als ich wieder bei meinem Zelt ankomme, nehme ich noch ein kurzes Bad im See. Bei den Temperaturen fühlt es sich einfach nur wahnsinnig erfrischend an. Witzig, wenn ich so daran denke, wie es 2017 war, als ich vor Kälte fast eingegangen wäre.
Ich haue mich in meinen Schlafsack, snacke noch was und schnappe mir meinen Kindle. Es wird eine gute Nacht, das spüre ich. Das einzige was ich noch höre bevor ich einschlafe, ist das ferne Plätschern von Wasser und die niedlichen, klickenden und klackenden Geräusche der Gruppe Rentiere unweit von meinem Zelt.
Tag 2: Småvatnan – Drogvatnet: (810 HM / 13,75 km)
Aber so schön kann es nun auch wieder nicht weitergehen. Ein bisschen Nervenkitzel gehört auch dazu.
So kommt es, dass ich bereits am frühen Morgen durch den angekündigten Sturm geweckt werde. Nichts wirklich schlimmes, aber bei meinen ersten zögerlichen Schritten durch das mit kleinen und größeren Steinen durchsetzte Gelände muss ich schon kämpfen, dass ich mit dem kolossalen Rucksack mein Gleichgewicht halte.
Und das Gelände wird eher schwieriger.
Vorbei an zahlreichen Seen und durch erste spärliche Lärchengewächse geht es dahin. Bis ich den ersten Blick auf den großen Heggmovatnet erhasche und erst einmal innehalte.
Nach einer mit mittelhohen Sträuchern üppig bewachsenen, eher unschönen Querung steige ich auf zum Rundvatnet auf 590 m ü. NN. Ein herrliches Gewässer, dass mich stark an einen Hochgebirgssee aus den Alpen erinnert. Wenn man dort unterwegs wäre, würde man wahrscheinlich locker 2000 m höher sein.
Da es etwas zugig und frisch ist, bleibe ich nur für einen kurzen Vormittagssnack. Hier oben habe ich mir ein Zwischenziel vorgenommen. Ich möchte von der Scharte kurz oberhalb des Sees weglos auf den Middagstinden aufsteigen. Oder besser: es zumindest ausprobieren und eigene Grenzen austesten.
Denn nach einigen Versuchen, die teilweise feuchten und spiegelglatt polierten Felsen hochzusteigen, merke ich, dass mir für solche alpinistischen Unterfangungen einfach die Erfahrung und die nötige Risikobereitschaft fehlt. Logischerweise findet man auch im Internet nichts zu solchen Gipfeln fernab vom Schuss, was einen in der Einschätzung der Schwierigkeit in Bezug auf seine eigenen Fähigkeiten weiterbringen könnte. Nach einer zermürbenden halben Stunde breche ich mein Vorhaben schließlich ab und beginne den steilen Abstieg über den Storbakken zu meinem nächsten Etappenziel, dem Drogvatnet.
Als ich mich unten umsehe, kann ich nicht glauben, dass ich da tatsächlich einfach so runtergestiefelt bin.
Es ist irre, wie mich das objektiv gar nicht so schwierige Gelände an den Rand meiner Belastungsgrenze bringt. Aber die andauernde Belastung des Alleinseins ohne Netzempfang und der Unsicherheit aufgrund von Wetterumschwüngen oder unüberwindbaren Hindernissen komplett umdrehen zu müssen, ist einfach immer da. Jeder Schritt muss immer und überall gut überlegt sein. Bei Regen hätte ich diese Stufe vergessen können.
Auf einem erhöhten Plateau mit einem kleinen See und letzten Schneeresten baue ich im Windschatten der gewaltigen, senkrecht abbrechenden Wände des Blåfjells mein Zelt auf.
Nach dem frühen Abendessen erkunde ich noch ein wenig das umliegende Gelände. Ich habe zugegebenermaßen ein wenig Schiss, dass ich vielleicht alles, was ich heute gegangen bin wieder zurück muss, insofern ich irgendwo nicht mehr weiterkomme. Nach meiner kleinen Erkundungsrunde bin ich aber zuversichtlich, dass ich das hinkriege.
Wohlig warm eingemummelt im Schlafsack endet mein zweiter Tag in der Wildnis.
Tag 3: Drogvatnet – Sørskardet – Sørskarvatnet (866 HM / 13,2 km)
Die Nacht im Zelt war für meine Verhältnisse recht gut. Nicht ganz so gut, wie eine Nacht daheim, in der man dreimal von der Kleinen geweckt wird, aber immerhin (2017 gab es auch Nächte, in denen ich vor Aufregung gar nicht geschlafen hatte). Aber das gehört halt einfach dazu.
Mein nächstes, heutiges Zwischenziel, der Osatinden, ist der Grund, warum ich die Route überhaupt so gewählt hatte. Der Gipfel verspricht ein wahnsinniges Panorama über den Sjunkfjorden. Aber ich ahne schon beim Abmarsch, dass das bei der fortwährenden frischen Brise höchst ambitioniert werden wird.
Sodann mache ich mich noch einigermaßen unschwierig auf den Weg zum Drogvasskardet auf knapp 500 m ü. NN. An der Scharte wartet dann eine spannende Querung auf mich, die aber zumindest gemäß Karte auch für diejenigen machbar sein sollte, denen etwas an ihrem Leben liegt.
Die Landschaft ist auch hier oben wieder völlig wild. Spiegelglatter Gletscherschliff wechselt sich immer wieder mit kleinem und großem Blockwerk ab, während dankbare grasige Stellen mit zunehmender Höhe immer seltener werden.
Ich steige weiter auf. Hin und wieder muss ich umkehren, um mir neue Wege durch das Steinlabyrinth zu suchen.
Ich bleibe zuversichtlich und möchte unbedingt weiter. Allerdings erscheint es mir sicherer, den schweren Rucksack zurückzulassen und nur mit dem Daypack weiterzugehen. Zurückblickend lasse ich den Rucksack unglücklicherweise an einer im weiteren Verlauf etwas uneinsichtigen Stelle zurück, sodass ich fortan zusätzlich zu den oben genannten Belastungen Schiss habe, den Rucksack nicht wiederzufinden. Mei, so ist es halt. Nachher ist man immer schlauer.
Nach zahlreichen Blockfeldern erreiche ich schließlich, schon ein wenig geschafft, das luftige Sørskardet. Von hier steige ich weiter auf bis zu einem namenlosen See auf etwa 650 m ü. NN. Der Wind bläst mir wie wild um die Ohren. Wenn ich mir vorstelle, bei den Bedingungen noch weiter zu gehen, habe ich eigentlich überhaupt keinen Bock mehr. So drehe ich hier schließlich um.
Von hier oben sieht die Querung zum Drogvasskardet richtig übel aus und ich bin schon ein bisschen stolz, dass ich zumindest das durchgezogen habe.

Ich möchte nicht sagen, dass ich mir umsonst Sorgen gemacht habe, aber der Weg zurück und die Suche nach dem Rucksack (hatte sicherheitshalber ein Foto von der Umgebung gemacht) war nicht so schlimm wie erwartet. Und ich bin tatsächlich sehr froh, wieder aus dem ärgsten Wind raus zu sein. Der Weg runter zum Drogvatnet verläuft ereignislos. Allerdings merke ich, wie ich anfange, manchmal mit mir selbst zu reden. Wahrscheinlich um das alles zu verarbeiten.
Auch die Route am See entlang ist etwas einfacher, als es von oben aussah. Worüber ich sehr froh bin. Problematisch sind eher die hüft- bis manchmal auch brusthohen Farne und sonstigen Büsche, die mein Weiterkommen auf schrägem Gelände ungemein erschweren.
Als ich das südöstliche Ende des Drogvatnets erreiche, gönne ich mir am farbenprächtigen Kiesstrand erstmal eine lange und kulinarische Mittagspause. Und ins feuchte Nass springe ich natürlich auch.
Ich muss mir eingestehen, dass ich bereits so langsam die Belastung in den Muskeln und Gelenken merke. Aber ein bisschen möchte ich noch machen heute. Auf der anderen Seite des Jordbrufjellets, am Sørskardvatnet, erahne ich einen traumhaften Campingspot. Hier sollte ich ehrlicherweise dazusagen, dass ich das ursprünglich auch schon beim Drogvatnet dachte. Aber es ist recht moorig und immer noch sehr zugig hier, sodass mir der Weitermarsch deutlich leichter fällt.
Den nächsten Anstieg von nochmal ein paar hundert Höhenmetern nehme ich wie er kommt. Einen besonderen Plan wie ich wo hoch- oder runterkomme mache ich mir seit der Querung heute morgen nicht mehr. Schwieriger wird es bestimmt nicht mehr.
Oben angekommen wartet nochmal ein wunderbares Panorama auf mich. Mit Seen in allen Richtungen.
Und was soll ich sagen. Unten am kurzen Seeende erwartet mich tatsächlich ein windgeschützter und vollkommen ebener Platz in traumhafter Kulisse. Wahrscheinlich sogar der insgesamt angenehmste Spot, den ich in meiner überschaubaren Trekkerkarriere je hatte. Mit einfach nur Liegen und Schauen, Lesen und Essen vergehen noch Stunden bis zur Dunkelheit. Gefühlt sind es Sekunden.
Ich merke, dass ich nun, an Tag 3, so richtig im Outdoorleben angekommen bin und genieße es einfach nur aus vollen Zügen.
Tag 4: Sørskarvatnet – Nordskarfjellet – Langvatnet (891 HM / 12,01 km)
Voller Motivation starte ich in den nächsten Tag.
Wobei der nächste Knackpunkt sogleich folgt: wie überquere ich den Sørskardelva am geschicktesten? Die bisher spannendste Flussquerung steht an und ich muss mich ordentlich konzentrieren auf den rutschigen Platten im Flussbett mit den vor Kälte schon tauben Füßen nicht den Halt zu verlieren.
Der heutige erste Anstieg auf das Blåfjellet ist schnell geschafft. Der deutlich steilere nordseitige Abstieg ist zunächst eine Überwindung, aber einige plattige Schuttrinnen erlauben mir dann doch eine rasante Abfahrt hinunter zum Midtiskardvatnan.

Und erneut hoch zu einem kleinen Aussichtspunkt. Der Blick wird frei auf eine größere Hochebene mit zahlreichen kleineren und größeren Seen.
Laut Karte gibt es direkt von hier tatsächlich eine angedeutete Linie zu meinem nächsten Zwischenziel, dem Nordskardfjellet. Auf norwegischen Karten heißt das so viel wie: wenn man über genug alpinistische Fähigkeiten verfügt, sollte man die Gipfelbesteigung am besten auf dieser Linie probieren. Als ich mir die Stelle anschaue, brauche ich nicht lange überlegen. Absolut keine Chance. Ich sehe nicht ansatzweise, wie ich den abartig steilen Gras- und Schutthang hinaufkommen soll.
Also weiter. Ich möchte es trotzdem noch an einer etwas weiter nördlich gelegenen Schwachstelle im Relief probieren.
Ich lege den großen Rucksack ab und versuche zunächst erst einmal nur mit dem Auge eine machbare Linie hinauf zu finden. Sodann versuche ich mein Glück und die erste Steilstufe ist bezwungen. Danach wird es etwas flacher und ich komme auf plattigem, aber trockenem Fels und immer wieder grasigen Stellen gut voran. Ohne Balast vergehen die knapp 300 Höhenmeter wie im Flug.
Oben eröffnet sich mir ein tolles Panorama und ich freue mich riesig, dass der Anstieg geklappt hat.
Kurz überlege ich, noch den Grat zu den Vassviktindan (930 m und 1135 m Höhe) weiterzugehen. Er sieht sehr gut machbar aus, auch für mich. Aufgrund von müden Beinen und nicht mehr so ganz stabiler Psyche lasse ich es aber dann letztendlich sein. Der Ausblick von hier reicht mir, insbesondere weil ich mir für morgen noch ein recht ambitioniertes Schmankerl vorgenommen habe.
Nach erfolgreichem Abstieg schlendere ich ohne große Höhenverluste noch ein paar Kilometer weiter zum Langvatnet, wo ich einen schönen Spot für die Nacht finde und optimal für den morgigen Tag positioniert bin.
Zum ersten Mal auf diesem Trip plagen mich am Abend ein paar Mücken, da ich wohl einen der wenigen komplett windstillen Plätze gefunden habe. Noch vor Sonnenuntergang verkrieche ich mich in meinen Schlafsack.
Tag 5: Langvatnet – Korsviktinden – Jordbrua (830 HM / 16,05 km)
Der Wecker klingelt um 5 Uhr. Heute steht Großes an.
Da ich mich damit abgefunden habe, dass mein Trip aufgrund meines zusehends schlechter werdenden körperlichen Zustands bald zu Ende gehen wird, möchte ich noch was probieren: den Anstieg auf den 1107 m hohen Korsviktinden. Im Internet habe ich dazu einen einzigen Bericht gefunden und dieser lässt mich erahnen, dass ich den Gipfel vielleicht auch schaffen könnte. Auch wenn der Berg absolut brutal aussieht.
Das folgende Bild zeigt den Ausblick auf den scharfen Gipfelgrat im warmen Morgenlicht. Aufgenommen etwa 100 Höhenmeter oberhalb von meinem Zeltplatz.

Zunächst geht es flott voran. Bis die ersten steilen Schutt- und Blockfelder auftauchen. Vollkommen freestyle bahne ich mir meinen Weg. Bis ich die erste Anhöhe erreiche, die einen gewaltigen Ausblick auf die umgebende Fjordlandschaft verspricht. Bis hierhin wollte ich fix kommen und alles weitere ist für mich ein dickes Extra. Noch einmal ein paar Bilder in schöner Morgenstimmung schießen.
In dieser Szenerie kommen mir fast die Tränen. Der Moment ist Gold.
Ich bleibe eine Weile am mehrere hundert Meter scharf nach Nordosten abstürzenden Abgrund sitzen und verdrücke mein Studentenfutter. Es ist fast windstill und meine Jacke brauche ich nicht mehr.
Der Blick nach oben zum Gipfel bringt mich ins Grübeln. Ich habe ordentlich Schiss vor der kommenden Steilstufe am Grat, aber es sieht doch irgendwie machbar aus. Der Ehrgeiz ist geweckt. Ich möchte es probieren.
Und immer geht es irgendwie. Einige Male ist es so steil, dass ich meine Hände fürs Gleichgewicht brauche. Manchmal sind auch größere Stufen zu überwinden, aber ohne, dass es sehr ausgesetzt gewesen wäre.
Bis kurz vorm Gipfel. An der überhängenden und dementsprechend ausgesetzten Stelle, die von unten am wildesten aussah und ich hoffte, dass der Weg nicht daran vorbei führen sollte. Aber ich habe keine Wahl. Jetzt so kurz vorm Gipfel drehe ich nicht mehr um.
Sodann greife ich beherzt zu.
Der Blick von oben ist phänomenal. Nahezu der gesamte Nationalpark ist von hier einsehbar. Wasser und Berge, soweit das Auge reicht.
Ich bleibe aber nicht sehr lange. Etwas mulmig vor dem Abstieg ist es mir schon und ich bin heute schon länger unterwegs, als ich eigentlich wollte. Mein Trinken ist schon längst verbraucht und gegessen habe ich heute sowieso noch nichts richtiges.
Der Abstieg geht ganz gut. Schön langsam. Ich merke vor allem mein Sprunggelenk jetzt deutlicher.
Als ich beim Zelt ankomme, gönne ich mir erstmal bis Mittag eine ausgedehnte Pause. Ich sammle zwei Hände voll Blaubeeren, die hier wie irre wachsen, und lasse mir mein Porridge schmecken.
Ich bin bereit für den Rückweg. Und der ist noch lang heute. Ich möchte es noch durchziehen, da unklar ist, ob das Wetter die nächsten Tage weiterhin beständig bleibt.
Knappe zehn Kilometer bis zu einem kleinen Wintersportort habe ich noch vor mir. Es sind nur ein paar Häuschen. Ist das schon die Zivilisation? Ich denke schon, es gibt immerhin eine Forststraße dorthin.
Als ich die dichte Vegetation auf etwa 300 m ü. NN erreiche stoße ich auf einen Pfad, dem ich bis zur Forststraße folge.
Das kleine Örtchen hatte ich mir anders vorgestellt. Ich hatte den kompletten Abstieg von einem kleinen Imbissstand geträumt. Aber die Realität sieht anders aus. Ein paar Holzhütten, kein Mensch weit und breit. Also gehe ich den Forstweg weiter bis zur Jordbrua. Hier ist ein Parkplatz und die asphaltierte Straße beginnt.
Hier warte ich. Ich kann nicht mehr laufen. Fertig. Komplett am Ende.
Nach einer Stunde etwa kommt tatsächlich ein Auto. Eine junge Norwegerin mit zwei unbesetzten Kindersitzen hinten im gigantischen E-SUV bringt mich zu der Bushaltestelle, bei der ich vor 5 Tagen ausgestiegen bin. Und wieder einmal bestätigen sich so viele Vorurteile, die es von Norwegern gibt: junge Eltern, wortkarg aber so freundlich, dass sie niemals einen fertigen Touristen irgendwo sitzen lassen würden, viel Geld und immer elektrisch unterwegs.
Epilog: Skau – Tindvatnan – Skau (754 HM / 8,91 km)
Für die nächsten zwei Nächte nehme ich mir ein komfortables Hotel in Bodø, inklusive reichhaltigem Frühstücksbuffet. Der Himmel.
Den Tag nach meiner Rückkehr verbringe ich komplett im Bett. Nur zum Frühstücken gehe ich kurz aus dem Zimmer, und das auch erst nach reiflicher Überlegung. Die Muskeln haben jetzt gecheckt, dass sie nichts mehr leisten müssen, und versagen mir ihre Dienste komplett.
An meinem letzten ganzen Tag möchte ich es aber nochmal wissen.
Ich schaue aus dem Fenster: es nieselt leicht, und es ist windig. Perfekte Bedingungen, um die Ausrüstung auch nochmal bei schlechtem Wetter zu testen. So nehme ich um 15 Uhr nochmal den Bus gen Norden und versuche in der Nähe des Steigtinden (auch hier war ich 2017 schon mal) einen Zeltplatz zu finden. Der Weg von Skau ist steil aber gut ausgetreten und markiert.
Es regnet jetzt stärker und je höher ich komme, desto kräftiger wird der Wind. So schlecht hat es der Wetterbericht nicht vorhergesagt. Im Gegenteil, es sollte zum Abend hin eigentlich wieder aufklaren. Als ich im Fjell ankomme, kann ich mich kaum auf den Beinen halten. Der Regen kommt nur noch von der Seite. Eine Weile quäle ich mich noch, bevor ich bei den Tindvatnan auf eine Höhe von etwa 550 nach einem halbwegs geschützten Campingspot suche.
Zwar gibt es auf den windabgewandten Seiten ein paar wenige Stellen, die nicht ganz so zugig sind, aber die liegen immer in Vertiefungen und dort ist es entsprechend nass. An ein Zeltaufbau im Sumpf ist nicht zu denken.
Ich suche über zwei Stunden und es wird dunkel. Keine Chance. Ich gebe mich geschlagen und trete den Rückweg an. Mit der Stirnlampe begebe ich mich zum Steig hinab nach Skau. Eine einzige Rutschpartie. Recht fertig komme ich unten an. Busse fahren natürlich nicht mehr, sodass ich mir für teures Geld ein Taxi rufen muss. Und die Nacht im Hostel muss ich auch noch zahlen.
Ein nicht ganz würdiger Abschluss einer grandiosen Woche, in der ich einiges über mich selbst gelernt habe. Im Nachhinein muss ich über den letzten Tag einfach nur lachen. Währenddessen war es nicht ganz so lustig.
Schlussbemerkung:
Wenn ich jetzt, zum Zeitpunkt des Schreibens, so zurückblicke, denke ich mir immer, warum ich nicht noch die beiden Tage bzw. Nächte dazwischen, die mir zur Verfügung standen, in der Natur verbracht habe. Wenn ich doch schon mal da bin, warum habe ich mich nicht noch zusammengerissen?
Die Wahrheit ist, dass es nach den 5 Tagen Dauerbelastung einfach nicht mehr ging. Körper und Geist brauchen regelmäßige Pausen und richtig erholen kann man sich eben auch nur wenn man ordentlich schläft und isst. Klar hätte ich vorher mal einen Pausetag machen können, aber will man das bei so einem Wetter wirklich in Kauf nehmen?
Irgendwann konnte ich die Gedanken an eine weiche Matratze, eine kühle Coke, einen Burger mit salzigen Fritten und ordentlich Ketchup oder auch nur einfach an eine lange warme Dusche nicht mehr unterdrücken. Und dann wars vorbei mit mir. Mein Limit sind aktuell also diese 5 Tage.
Mal schauen, wie es beim nächsten Mal ist. Denn eins weiß ich ganz sicher: das nächste Mal kommt ganz bestimmt!
Nur ob es wieder einmal der Sjunkhatten sein wird? Vielleicht auch etwas weiter nördlich, in Steigen? Oder Rondane? Oder der Jotunheimen Nationalpark?
Ich weiß es noch nicht, es gibt noch so viele Outdoorabenteuer zu erleben.







































