Schafreuter Gipfelbuch:
“Es ist Donnerstag, der 21. Mai 2020. Vatertag, und Beginn des heiß ersehnten verlängerten Wochenendes.
Es wurde allerhöchste Zeit mal wieder was spannenderes zu unternehmen, als auf dem Balkon zu liegen und sich bräunen zu lassen…
Denn ja, so war das in den letzten Wochen. Corona und so. Die Berge habe ich vermisst, das kann ich euch sagen. Jetzt ist wieder Zeit zum Genießen. Glück auf und Holladrio! Der Bergebummler.”
Auf dem Balkon, 11.00 Uhr:
Ich entschließe mich kurzfristig dazu, meinen Rucksack zu packen und den Schafreuter (2.102 m) im schönen Vorkarwendel in Angriff zu nehmen. Ein Biwak soll es mal wieder werden. Für Begleitung ist es leider zu kurzfristig, denn die üblichen Verdächtigen haben bereits alle andere Pläne. Pech, dann ziehe ich halt alleine los.
Das Wetter spielt jedenfalls mit. Es ist stark bewölkt und die Chancen auf einen spektakulären Sonnenuntergang stehen gut. Gewittergefahr? Vernachlässigbar.
Was will man also mehr?
Der Schafreuter gilt als exzellenter Aussichtsberg: Der Blick auf das schroffe Karwendelgebirge ist einfach nur bombastisch, egal ob im Winter oder Sommer.
Die Eckdaten der Tour in aller Kürze:
Startpunkt: Parkplatz einige Kilometer hinter Vorderriss, Nähe Oswaldhütte
Anspruch: mittelschwer (technisch leicht, konditionell anspruchsvoll)
Einkehr: grundsätzlich möglich in der Tölzer Hütte (nicht 2020)
Aufstieg: 1252 Höhenmeter, durchschnittlich etwa 3 h
Es ist 16.15 Uhr. Einige Leute sitzen bereits in ihren Autos, geschafft und bereit nach Hause zu fahren. Den zufriedenen Gesichtern nach zu urteilen, scheint es ein guter Tag gewesen zu sein.
Ich freue mich auf den Aufstieg, trotz meinem 17 Kilo schweren Rucksack. Fluch und Segen, diese Fotoausrüstung.
Der Aufstieg:
Die erste Hälfte der Tour ist wenig spektakulär. Wenigstens ist es schattig im Wald.
Nach knapp über einer Stunde schweißtreibender Vollpower und 700 Meter höher erreiche ich endlich die Baumgrenze. Eine schöne Hochebene mit einer kleinen Almhütte erwartet mich.
Pause? Ja, bitte!
Sehr weit ist es nicht mehr. Im Schneckentempo krieche ich bergauf. Ich muss mir eingestehen, dass es höchste Zeit wird, mal wieder an meiner Kondition zu arbeiten.
Der Schlussgrat zum Gipfel ist jedenfalls bald erreicht und ein grandioses Panorama beginnt sich vor meinen Augen auszubreiten.
In der Ferne höre ich irgendwo hinter mir noch andere Wanderer, die ebenfalls aufsteigen. In Anbetracht meiner atemberaubenden Geschwindigkeit (Vorsicht, Ironie!) gibt es nur eine einzige Schlussfolgerung: Die biwakieren auch hier oben!
Am Gipfel des Schafreuter:
Ich brauche einige Zeit, um mich zu erholen. Essen kann ich erst einmal nichts. Ich drücke mir eine Banane rein, mehr geht aktuell nicht. Nachdem ich mich wieder etwas gesammelt habe, schaue ich mich nach einem passenden Plätzchen für mein Zelt um. Gar nicht so leicht hier, aber letztendlich finde ich doch noch einen passablen Spot ohne wieder weiter abzusteigen. In Norwegen habe ich gelernt, niemals wieder im abschüssigen Gelände zu nächtigen.
Als ich mich einrichte, kommen auch meine Verfolger schlussendlich am Gipfel an. Auch sie zelten, jedoch ein kleines Stück weiter unten. Windgeschützt und vollkommen eben. Beneidenswert, im Nachhinein.
Alex und Basti “feiern” zusammen Ihren Vatertag am Gipfel, Rotwein inklusive. Auch für sie eine willkommene Auszeit vom Alltagsstress. Nach einem kleinen Schlückchen Rotwein machen wir uns auf und knipsen, was das Zeug hält. Der beste Ort, um endlich mein neues Sigma 24-70 mm F2.8 so richtig auszutesten.
Die Sonnenuntergangsstimmung ist der absolute Oberhammer:
Die Zeit verfliegt.
Und bald ist die Sonne nur noch als glutroter Feuerball am Himmel zu erkennen:
Alex und Basti haben sich bereits vorerst von mir und dem Gipfel verabschiedet und ich genieße noch bei Tee und einer Rippe Schokolade die letzten Minuten des bezaubernden Abendlichts. Im Nordwesten ist keine Wolken mehr zu sehen, im hohen Karwendel hängen sie noch dicht und düster in den Gipfelwänden. Auch dort sollten sie am nächsten Morgen vollständig verschwunden sein.
Ich freue mich schon jetzt auf den morgigen Sonnenaufgang und hoffe, dass ich wenigstens ein bisschen schlafen kann. Da der Wind jedoch weiter auffrischt, fange ich bereits beim Einstieg ins Camp an, daran zu zweifeln. Ich höre noch lange Musik und wage einen letzten Blick auf den funkelnden Sternenhimmel bevor ich schlussendlich für eine Weile das Zeitgefühl verliere…
Am nächsten Morgen:
Ich kann es kaum warten, das Zelt zu verlassen. Die Nacht war deutlich stürmischer als der Vorabend und alles andere als erholsam. Obwohl ich nahezu keinen Schlaf abbekommen habe, fühle ich mich trotzdem fit und voller Tatendrang.
Das Wetter ist wie vorhergesagt. Keine Wolke am Himmel und leichte Schleier in den Tallagen. Und die Sonne steht bereits blutrot am Horizont. Auf der gegenüberliegenden Seite färben sich die mächtigen Wände des Karwendels in ein magisches Lila. Solche Anblicke sind es, warum ich mir das immer und immer wieder antue:
Schon bald taucht die Sonne die Landschaft in ein gleißendes tiefgoldenes Licht. Bei diesem Anblick spüre ich wieder diese grenzenlose Freiheit in mir aufsteigen, die ich in den letzten Wochen und Monaten so vermisst habe.
Und ja, viel ist nun auch nicht mehr zu sagen.
Bald stopfe ich das noch klamme Zeug in meinen Rucksack, schultere die Kameratasche und verabschiede mich von Alex und Basti, die noch in aller Seelenruhe ihr Frühstück genießen. Auf ein Wiedersehen.
Während des zweistündigen Abstiegs bin ich in Gedanken vertieft und einfach nur froh, mein nächstes kleines Microadvanture auf den Schafreuter bestritten zu haben!
UPDATE: Der Artikel über mein nächstes Biwak am schönen Achensee steht schon in den Startlöchern. Nicht verpassen!